Als wir heute morgen aufwachten, wussten wir: wir hatten über 100 Kilometer vor uns, größtenteils Richtung Westen, also nicht gerade in die vorherrschende Windrichtung. Wer jetzt aber glaubt, wir wären deshalb ganz früh morgens losgefahren, liegt falsch! Ida hatte uns in Neustadt in Holstein eine Übernachtung organisiert, und wir konnten dort erst ab 20:30 Uhr ankommen. Deshalb ließen wir uns ordentlich Zeit, genossen ein bisschen das Frühstück, das Gundula uns mitgebracht hatte - mit leckerer Erdbeer-Stachelbeer-Marmelade - und fuhren dann erst spät, nach einer Fotosession vor der Kirche, aus Neukirchen los.
Bei der Abfahrt hatte ich allerdings nicht auf die Karte geschaut, und so drehten wir noch eine schöne Extrarunde durch das kleine 30-Einwohner-Dorf. Tilman hatte ein bisschen Kopfschmerzen, sodass wir, da wir ja genug Zeit hatten, eine Pause an einem sonnenbeschienenen Fleckchen machten. Dort legte sich Tilman ganz gemütlich auf den warmen Asphalt, wurde zweimal fast von einem Lastwagen überfahren, und auch sonst war alles wie immer. Bald konnten wir aber weiter fahren, und nach unspektakulärer Fahrt erreichten wir Wismar.
Wismar war, wie Städte für Fahrradfahrer nun mal sind: Anstrengend! Vor einem EDEKA im Zentrum hielten wir an, und voll Scham entledigte ich mich der Socken, die ich heute wegen der Kälte das erste Mal in den Sandalen angezogen hatte. Wieder blendend aussehend betrat ich den Edeka, und schnappte mir sämtliche Snacks, die ich finden konnte. Man sollte nie hungrig in einen Supermarkt gehen, das hat sich wieder mal bestätigt. Unter anderem verließ ich den Supermarkt mit drei Packungen Hallorenkugeln, erwartend, dass wir diese in Schleswig-Holstein nicht mehr finden würden.
Nachdem wir kurz vor dem Supermarkt Kekse gegessen hatten, verließen wir Wismar wieder, und machten einige Zeit später einen Umweg von der geplanten Route. Ich hatte nämlich gedacht, dass der nur wenig längere Ostseeküstenradweg sicher die schönere Option sei, als an der Bundesstraße entlang zu fahren. Außerdem, als weiterer Vorteil, mussten wir so nicht über den 70 m hohen Berg, sondern konnten ganz flach an der Küste entlang fahren.
Leider bestätigte sich nur der erste Vorteil, wir hatten beide nicht bedacht, dass es auch an der Ostseeküste, und besonders in diesem Teil der Ostseeküste, einige Klippen und Steilküsten gibt. Statt einem 70-Meter-Berg fuhren wir stattdessen über hunderte 10-Meter-Berge immer rauf und runter an der Küste entlang. Außerdem stellte sich die Ostsee dann größtenteils als Wald heraus, der zwischen Fahrradweg und Meer wuchs.
Trotzdem erhaschten wir einige wunderschöne Blicke auf das Meer, die Wellen, den Strand und einige Segelboote. Bei hervorragendem Wetter ließen wir es uns natürlich nicht nehmen, den Strand zu besuchen. Nachdem schon ein Großteil der Strecke geschafft war, machten wir vor Travemünde eine Strandpause, bei der wir gleich die erste Packung Hallorenkugeln vernichteten.
Vielleicht auch dadurch verpassten wir dann in Travemünde eine Fähre, und mussten einige Zeit auf die nächste warten. Deshalb mussten wir uns am Ende des Tages doch noch ein bisschen beeilen, um um 20:30 Uhr in Neustadt zu sein. Allerdings war die Landschaft nach Travemünde auch nicht mehr so sehenswert: wir durchquerten die hässlichen Hotelburgen von Timmendorfer Strand und den benachbarten Städten. Um uns auch ein bisschen cool, hip und angesagt zu fühlen, probierten wir eine neue Art des Tandemfahrens aus: Tilman legte seine Füße auf den Lenker, ich legte meine Füße auf Tilmans Schultern, und so rollten - oder besser: cruisten - wir dann über die Einkaufsstraße.
Pünktlich um 20:25 Uhr erreichten wir unsere Übernachtungsmöglichkeit in Neustadt, die sich als kleiner Garten herausstellte, in dem wir unser Zelt aufstellen durften. Mit uns zelteten noch zwei junge Männer im Garten, die ebenfalls auf Fahrradtour waren, und in den Tagen zuvor Dänemark bereist hatten.
Von Fahrradtourer zu Fahrradtourer unterhielten wir uns so ein bisschen über die Feinheiten das Fahrradfahrens, und die Vorteile eines Liegetandems, bevor mein Hunger zu groß wurde und ich trotzig davon stapfte, um bei der nächstgelegenen Pizzeria zwei Pizzen und einmal als Vorspeise gefüllte Weinblätter (sehr italienisch!) zu kaufen.
Die brachte ich dann stolz zu unserem Zeltplatz zurück, und nach einem leckeren und luxuriösen Abendessen fielen wir auf unsere Luftmatratzen. Während Tilman, wie gewohnt, sofort einschlief, bemerkte ich noch, dass im Nachbargarten kurz vor 12 Uhr eine kleine Party begann: zu den lauten Klängen von Biene Maja konnte dann auch ich gemütlich einschlafen.